Kein English, aber Serbisch

von Michael Schmidt

Eine kleine Geschichte, die mir erst wieder eingefallen ist, als ich im Dezember bei der Familie meiner Tochter in den Vereinigten Staaten zu Besuch war. Dort wurde natürlich nur englisch gesprochen, und ich habe mich dann zwangsläufig daran erinnert, wie ich gerne einmal englisch gesprochen hätte, es aber noch gar nicht konnte und schon gar nicht daran dachte, es einmal lernen zu müssen.

Im April 1945 kamen die amerikanischen Truppen mit ihren Panzern in unser Dorf in der Oberpfalz, stellten sich im Kreis auf, sicherten nach allen Seiten und warteten, was geschehen würde. Geschossen wurde schon lange nicht mehr, weit und breit gab es keine deutschen Soldaten mehr, die bereit waren, Widerstand zu leisten. Nach und nach wagten wir Kinder uns aus der Deckung, wir waren neugierig und die Ungetüme der Panzer interessierten uns schon. Auch die Soldaten waren für unsere kindlichen Begriffe anschauenswert, besonders als ein schwarzer Soldat aus dem Panzer ausstieg. Ich sah dort zum 1. Mal einen schwarzen Menschen, vorher hatte ich noch nie einen in natura gesehen. Die Soldaten redeten auf uns Kinder ein, wollten, dass wir uns mit ihnen unterhalten sollten. Aber in welcher Sprache, weil wir doch kein Englisch verstanden? Aus einer Panzerluke zeigte sich dann der Oberkörper eines Soldaten, der ein Namensschild auf seiner Kampfjacke trug, das ich als „J o v a n o v i c
c" lesen konnte. Ich nahm allen meinen Mut zusammen und wagte es, ihn auf Serbisch anzusprechen. Er war hoch erfreut, seine Muttersprache in Deutschland zu hören und erzählte mir dann, dass seine Eltern aus der Nähe von Belgrad stammen würden. Auch er sei noch dort geboren und wunderte sich immer wieder, dass ein Deutscher mit ihm in seiner Muttersprache reden konnte.
Im Nu war der Bann gebrochen, die umstehenden Kinder und auch die Erwachsenen, die sich so langsam aus ihren Verstecken hervorwagten, standen da und staunten und fragten immer wieder: „Was hat er gesagt?" Ich war zum „Star" in dieser Menschenmenge geworden, weil ich mit dem Soldaten auf Serbisch reden konnte, ihm und seinen Kameraden die Furcht nahm und sie zu den neugierigen Leuten Vertrauen fassten. Als es dann noch Kaugummi und Schokolade für uns Kinder gab, war die Begegnung vollkommen zu einem „Freudenfest" ausgeartet. Beide Seiten hatten ein schönes „Kriegserlebnis". Leider zogen die Panzer nach etwa 3 Stunden wieder ab und ließen uns allein. Heute kann ich ein „fehlerhaftes" Englisch sprechen. Wie hätte ich mich auch mit meinen amerikanischen Enkelkindern und meinem Schwiegersohn unterhalten sollen?
Da kam mir der Gedanke: Können wir Donauschwaben es hoch genug einschätzen, dass wir meistens schon im Kindesalter, die Sprache unserer Nachbarn sprechen und verstehen gelernt haben?
Michael  Schmidt